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"Zählt man ohne Rücksicht auf den Kunstwert alles
zusammen, was in der deutschen Abteilung dieses Salons unter der Rubrik
„Genre“ fallen konnte, so zeigte sich diesmal doch wieder eine leise Neigung
zu jener pointirten Anekdotenmalerei, zum Süßlichen und Gefälligen, der die
Neuerer nicht mit Unrecht so energisch entgegengetreten sind. Man kann dem
deutschen Genrebild sicherlich ohne Schaden für die „neue Schule“ einen
reicheren Inhalt wünschen, als dieselbe ihr im letzten Jahrzehnt zugestanden
hat, aber diese rückläufige Richtung entspricht solchem Wunsch nur sehr
dürftig. Sie ist weder im Sinne unserer Zeit national, noch aktuell. Unsere
Genremaler sollten sich allgemach wieder der Thatsache bewusst werden, dass sie
in ihren Bildern der Nachwelt Kultur- und Geistesgeschichte unserer Zeit überliefern
können. Fast ängstlich wird von ihnen alles vermieden, was heute den
Mittelpunkt aller Interessen bildet, die sozialen Ideen, welche der künftige
Kulturhistoriker an die Spitze seiner Betrachtungen stellen wird, der stetig
wachsende Kampf zwischen Kapital und Arbeit, die Umwälzungen, welche sich in
unserm Gesellschaftsleben vorbereiten und zum Teil schon vollziehen, die
Umwertung der auf das Verhältnis des Einzelnen zur Gesamtheit bezüglichen
Anschauungen, das ganze, gewaltige Gebiet moderner Geistes- und Maschinenarbeit
- kurz alles das, was nach Zolas mächtigem
Vorbild in unserer Litteratur mehr und mehr in den Vordergrund tritt. Ist doch
aus unserer Genremalerei selbst die moderne Gesellschaftstracht noch immer so gut wie verbannt – an sich etwas rein Äußerliches,
in Wahrheit aber etwas sehr Bedeutsames, denn mit dem Bannspruch über seine Hülle
hat man eine Hauptklasse des „modernen Menschen“ selbst von der Malerei
ausgeschlossen! Nur ganz vereinzelt finden sich Ausnahmen, vertreten durch Künstler,
die sich dieser Aufgabe noch gar nicht recht bewusst sind…."
(Quelle: Meyer, Alfred Gotthold. Die
Münchener Kunstausstellung. In Zeitschrift für bildende Kunst N.F. Band IV.
1892, S. 7)
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