Zitate entnommen: Doris Edler, Vergessene Bilder.
S. 100 f.
"Gerade der anekdotische Charakter vieler Darstellungen des
ländlichen Genrebildes, auf den sich Pietschs Begriff der „gemalten
Dorfgeschichte“ bezeiht, wirft die Frage nach dem Verhältnis von Bauerngenre
und literarischer Dorfgeschichte auf, zumal sich sowohl die malerische als auch
die literarische Gattung Mitte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
entwickelten. Das Entstehen der Dorfgeschichte als besondere Gattung war
Ausdruck eines wachsenden Interesses der Bürger am Bauernstand aufgrund seiner
Teilnahme an den politischen Kämpfen dieser Zeit. Um die Mitte des Jahrhunderts
gingen die Dorfgeschichtenschreiber erfolgreich gegen die Einseitigkeit der
zuvor vorherrschenden Salonromane an. Poesie und Philosophie wussten sich auch
im Bauernleben zu finden: „Edelnaturen im Bauernkittel, die den adelsstolzen
Salonmenschen ebenbürtig waren.“
Die Dorfgeschichtenschreiber scheuten sich jedoch, den
wirklichen Bauern vorzuführen mit seinen „Grobheiten“, dem Schmutz der
täglichen Arbeit, den vermeintlich niederen Eigenschaften. Der Kontrast
zwischen dem feinen Salon und dem derben Bauernleben sollte für das
bildungsbürgerliche Lesepublikum verdaulich sein. Die realistischen Dorfgeschichten
von Jeremias Gotthelf, die bereits 1836 erschienen waren, fanden daher weniger
Anklang als die verfeinerten Schriften von Berthold Auerbach (Schwarzwälder
Dorfgeschichten, erschienen zwischen 1843-1881). Seine Art, die Bauern
vorzuführen, hatte viel gemeinsam mit der Behandlung des Bauern in der
Genremalerei, der man, zumal zum Ende des Jahrhunderts, wiederholt die
Zurschaustellung von „Salontirolern“ vorwarf...
Die Gemeinsamkeiten zwischen Dorfgeschichte und ländlichem
Genrebild bezogen sich daher nicht nur auf die Entstehungszeit und die
Verbreitung beider Gattungen, sondern darüber hinaus auf ästhetische
Grundanschauungen, das Interesse an emotionalen Vorgängen sowie – allerdings
auf eine weitgehend formale Ebene beschränkt – das thematische Material. Hier
wie dort findet man bestimmte Repräsentanten verschiedener Gruppen der
dörflichen Sozialität, wie zum Beispiel den Dorfpfarrer in seiner
Autoritätsfunktion, den Lehrer, die verschieden familialen Rollenträger, aber
auch feste, Vergnügungen, Tanzveranstaltungen und Wirtshausszenen. Hier wie
dort ist der Produktionsbereich kein Gegenstand des künstlerischen Interesses."
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