In der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts dominierte an den Kunstakademien die Historienmalerei, die
geschichtliche oder religiöse Themen verarbeitete. In den 60er Jahren
entwickelte sich daraus die Genremalerei, die Motive des täglichen Lebens
aufnahm. Diese neue Malerei wurde zunächst von den Akademien nicht
anerkannt. So richtete die Düsseldorfer Akademie erst 1874 einen
Lehrstuhl für Genremalerei ein.
In den Jahrzehnten bis zur
Jahrhundertwende bestimmte diese Genremalerei die Kunstwelt, vereinzelt
wurde bereits während ihrer Blüte Kritik
laut. Wenn
auch ihre qualitativ guten Werke in Auktionen heute regelmäßig hohe
Preise erzielen, wird diese Epoche der Malerei durch die Kunstgeschichte weitgehend
ausgeklammert. Wird sie
vereinzelt dennoch thematisiert, wird sie äußerst kritisch bewertet. So
ordnet Karl
Scheffler das Genrebild in die Kategorie "Kunst für
Alle" ein, die jedermann zu Gefallen sei:
"Kunst für Alle
...Die Kunst für Alle ist, als Ganzes genommen, eine
Unterhaltungsmalerei, die jedermann verstehen sollte. Dargestellt wurde in
jedem Fall etwas „Interessantes“, das heißt etwa: ein Reiter, der
abgeworfen worden, im Steigbügel hängen geblieben
und nun in Gefahr ist, vom galoppierenden Pferd gegen den Felsen
geschleudert zu werden, oder eine glatt gemalte Schöne, die dem
Betrachter mit einladendem Lächeln ein Glas Wein kredenzt, oder: eine
Landschaft, die zum Promenieren einladet und Sehnsucht erweckt, die
Sommerferien dort zu verbringen. Das Künstlerische dient, es herrscht
nicht; es dient, um den Stoff plausibel zu machen. Darum musste das
Melodische, das Rhythmische und Klingende verschwinden und dem Prosaischen
Platz machen. Das Unmelodische ist ein Charakteristikum aller stofflich
gefesselten Kunst. Wie es denn auch bezeichnend ist, dass in dieser Zeit
des nachahmenden Realismus die Architekturrettungslos entartet und einer
vielfältigen, unlebendigen Imitation historischer Stile verfallen ist.
Die geistlose Nachahmung der Natur geht Hand in Hand mit der geistlosen
Nachahmung alter Stilformen. An die Stelle der freien und produktiven
Wahltradition tritt auch in der Malerei eine oberflächliche Wiederholung
alter Meister. Unverkennbar ist eine mittlere Schulung, wie die Akademie
sie vermitteln kann; die tiefere Kenntnis des Handwerks jedoch geht vollständig
verloren, der Sinn, der Geist des Handwerks wird nicht mehr begriffen.
Eine große Banalität, allgemeine Albernheit greift um sich und
unterwirft sich auch die Kunst.
.....
Am populärsten war das Genrebild, die gemalte
Anekdote. Eine Zeitlang blühte die Dorfnovelle, wie Knaus und
Vautier sie
gemalt haben, und mit deren Hilfe Defregger einer der berühmtesten
deutschen Maler wurde. Auch war es erfolgreich, das Heimatliche aus
Oberbayern oder Friesland, aus Holland oder Rumänien zu zeigen. In einer
Klasse der Hochschule für Maler war museumshaft genau eine friesische Küche,
ein Rokokosalon, eine altdeutsche Trinkstube aufgebaut; die Meisterschüler
saßen davor und machten ein Bild daraus, nachdem sie Modelle in
entsprechendem Kostümen in diese „Interieurs“ gesetzt hatten. War die
Schilderung mit Scherz gewürzt (man nannte es Humor), so war de Erfolg um
so sicherer. Eduard Grützner errang Ruf über Deutschlands Grenzen hinaus
mit seinen Mönchshumoresken, in denen gezeigt wird, wie trinkfrohe Mönche
im Weinkeller allerhand harmlosen Unfug anrichteten. Nebenher liefen
Darstellungen idealisierter junger Mädchen, die wie die Unschuld in
Person aussehen, durch „edle“ Schleiergewände überall aber heimliche
Erotik, ja selbst Lüsternheit blickt. Blumen, piepende Vögel und alles
was sonst niedlich ist, wurden freigiebig hinzugefügt. Dann waren dort
die altertümelnden Novellisten, im Sinne Claus Meyers; Würfelspieler in
Landsknechtstracht in einer altdeutschen Stube, durch das offene Fenster
schaut ein Stück der alten Stadt herein. Die Technik lässt an alte
Niederländer denken, doch ist die Malweise so, dass man die Gestalten
greifen kann.....
Was in diesen Jahrzehnten irgendwie von
Schriftstellern erzählt worden ist, das ist auch gemalt worden: Unglücksfälle
und Jagdabenteuer, Schmugglergeschichten und Liebeshändel,
Spielleidenschaft und Entführung, Aussaat und Ernte, sauere Wochen und
frohe Feste, Sonnenscheinidyllen und Gewitter. In Deutschland waren Düsseldorf
und München die hohen Schulen dieser Art von Genremalerei. Düsseldorf
wirkte nicht nur auf Norddeutschland, sondern auch auf Holland und
Skandinavien; München beeinflusste nicht nur den süddeutschen Halbkünstler,
sondern auch die aus Ungarn, Bulgarien und Rumänien.
Die Bildnismalerei sah sich plötzlich dem Wettbewerb
mit der Photographie gegenüber. Gefordert wurde vom Besteller eine
Mischung von photographischer Treue und süßlicher Verschönerung. Alles
sollte deutlich sein. Das Blaue der Augen, die Röte der Wangen, das Blond
des Haares, der Stoff und der Schnitt der Kleidung, die Zahl der Knöpfe
und der Glanz der Orden. Das Bildnis sollte in einer ganz greifbaren Weise
richtig und ähnlich sein; Die Wahrheit durfte nicht zu wahr sein, keine
Eigenschaft des Modells durfte durch ein Temperament gesehen und verstärkt
werden. Der Maler schien seinem Modell von Zeit zu Zeit zuzurufen: bitte
recht freundlich! Gussow war ein Held des Tages: er verstand das
Photographische pikant zu machen, ihm malerischen Schmelz zu geben.
Friedrich August Kaulbach, ein fader Verschönerer, feierte in München
Triumphe und beherrschte dort das Kunstleben. Das Bürgerliche geriet ins
Bougeoismäßige, die „Wahrheit“ zeigte so sehr nur ihre Oberflächen,
dass sie nicht besser war wie schlimmste Verlogenheit. Die Phantasie des Künstlers
war ausgeschaltet; damit aber war jene Form ausgeschaltet, die das Modell
deutet, die aus der Seele stammt und zur Seele spricht.
.....
Die Zahl der Zeichner vermehrte sich ins Ungemessene.
Das Familienblatt, das illustrierte Unterhaltungsblatt trat in Erscheinung
und beschäftigte die Zeichner. Von Lithographie und Holzschnitt war nicht
mehr die Rede. Die mechanische Reproduktion kam allein noch in Frage. An
die Stelle der Begabung aber trat die Geschicklichkeit. Die Karikatur der
Witzblätter verlor das, was betroffen macht, das ausdrucksvoll Groteske,
sie sank zur äußeren Komik herab. Die „Fliegenden Blätter“ wurden
ein Tummelplatz harmloser Philisterschnurren, und in den illustrierten
Zeitungen wurde der Zeichner zum Berichterstatter von Tagesneuigkeiten.
Der Gegenstand fraß überall die Form, die Phantasie, die Kunst auf; es
herrschte die Richtigkeit ohne Impuls. Der Rest von Temperament flüchtete
sich in die Schmissigkeit des Strichs. Beteiligt an dieser harmlos gegenständlichen
Art der Zeichnung waren fast alle Maler der Zeit, die Genremaler und
Schlachtenmaler, die malenden Illustratoren von Staatsbegebenheiten und
des Familienlebens. Jeder bearbeitete ein besonderes Stoffgebiet; darin
aber waren sie einander alle verwandt, dass sie gewissermaßen einen
photographischen Apparat im Kopf mit sich herumtrugen.
Im Negativen bildet diese ganze Masse von Halbkunst eine Einheit. Damit
ist nicht gesagt, dass es allen Malern durchaus an Begabung gefehlt hätte.
Viele von ihnen haben gut und hoffnungsvoll begonnen, viele hätten sehr
wohl Genossen der großen Talente werden können. Was rationalistisch und
phantasielos im modernen Bürgertum war, hat sie aber verführt und
unterworfen. Wer nicht willens war und die Kraft hatte, das Bürgerliche
gegen das Bourgeoismäßige zu verteidigen, der wurde vom breiten Strom
mitgerissen. Es hat in den letzten Jahrzehnten viele ‚Rettungsaktionen
gegeben, die darauf hinausliefen, nachzuweisen, dass in vielen dieser
Publikumsmaler, dieser Halbkünstler, ein guter Kern gesteckt hat und dass
ihnen zuweilen schöne kleine Werke gelungen sind. Das kann den
Geschichtsschreiber aber nicht bestimmen, von dem Grundsatz abzugehen, nur
dort und nur so weit vom Individuum zu sprechen, wie es formgestaltend
gewirkt hat. Die Vertreter der Kunst für Alle haben durchweg zu Lebzeiten
schon die Früchte ihrer Tätigkeit genossen; die Nachwelt braucht sich
mit ihrem Gedächtnis nicht zu beschweren, sie darf die Toten ihre Toten
begraben lassen."
(Quelle: Scheffler, Karl. Geschichte der
europäischen Malerei, S. 25 ff.)
Diese Abwertung des größten Teils der Malerei des 19.
Jahrhunderts geht soweit, dass sie aus dem kollektiven Gedächtnis, den
Museen, fast vollständig verbannt wurde. Bei aller nachvollziehbaren
Kritik, ist zu bedenken, dass die Genremalerei das Kunsterleben der Bürger
in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmt hat.
Otto Piltz hatte ausgehend von der Auseinandersetzung
mit Courbet die "Hellmalerei", das Spiel mit dem Licht, zu großer Reife gebracht.
Im Gegensatz zu seinem Studienkollegen und Freund Max
Liebermann
hat er das Erzählerische in seinen Bildern jedoch nie verlassen. Äußerste
Detailtreue macht es auch heute nach über 100 Jahren möglich, die Orte
mancher Motive ausfindig zu machen.
Mit dem jungen Franz Marc machte er Ausflüge ins
Dachauer Moos und verfolgte dessen künstlerische und persönliche
Entwicklung bis zu seinem Tod 1910. Den kometenhaften Aufstieg seines
jungen Freundes konnte er nicht mehr erleben.